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Amnesty Report / Jahresbericht 2022

Auch der Amnesty Report 2022 (Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022) zeigt auf, dass indigene Völker weltweit internationale Unterstützung zur Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechte benötigen. Im Folgenden finden Sie relevante Ausschnitte aus dem Jahresbericht in alphabetischer Reihenfolge nach Ländern sortiert:

Argentinien

Australien

Bangladesch

Bolivien

Brasilien
Die Stichwahl der Präsidentschaftswahl entschied Ende Oktober 2022 Luiz Inácio Lula da Silva für sich, der sein Amt im Januar 2023 antrat. Er versprach, ein Ministerium für indigene Bevölkerungsgruppen (Ministério dos Povos Originários) einzurichten, und verpflichtete sich, die Abholzung des Regenwalds zu stoppen.
Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Die wirtschaftliche Krise verschärfte bestehende strukturelle und andere dauerhafte Ungleichheiten. Die steigende Inflation und die zunehmende Verarmung traf diejenigen Bevölkerungsgruppen besonders hart, die seit jeher diskriminiert wurden, wie Schwarze, indigene und andere traditionelle Gemeinschaften, Frauen, LGBTI+ sowie Bewohner*innen von Favelas und anderen benachteiligten Vierteln.
Menschenrechtsverteidiger*innen
Im Juni 2022 verschwanden der britische Journalist Dom Phillips und der brasilianische Indigenenforscher Bruno Pereira im Vale do Javari, einem indigenen Territorium im Bundesstaat Amazonas. Elf Tage später fand man die Leichen der beiden Männer, die sich für die Rechte indigener Gemeinschaften eingesetzt hatten. Drei Männer wurden festgenommen, die die Morde verübt und die Leichen versteckt haben sollen. Ihr Verfahren hatte Ende 2022 noch nicht stattgefunden. Die Ermittlungen zu den Drahtzieher*innen der Tötungen dauerten an.
Rechte indigener Gemeinschaften und Quilombolas
Von Januar bis Juli 2022 verzeichnete die NGO Comissão Pastoral da Terra, die für eine Landreform eintritt, im Zusammenhang mit Landkonflikten in ländlichen Gegenden 759 gewaltsame Vorfälle, die insgesamt 113.654 Familien betrafen, sowie 33 Tötungen. Dies bedeutete eine Zunahme von 150 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021. Mehr als die Hälfte der Konflikte ereignete sich in der Region Amazônia Legal und betraf vor allem indigene Gemeinschaften und Quilombolas.
Im April 2022 wurde der Quilombola-Sprecher Edvaldo Pereira Rocha im Bundesstaat Maranhão erschossen. Eine verdächtige Person wurde festgenommen. Die Ermittlungen zu den Motiven und Personen, die hinter der Tötung standen, waren am Jahresende noch nicht abgeschlossen.
Im Bundesstaat Mato Grosso do Sul wurde im Mai Alex Lopes und im Juni Vítor Fernandes getötet. Beide waren 17 Jahre alt und gehörten zur Bevölkerungsgruppe der Guarani Kaiowá. Im September wurde der 14-jährige Gustavo da Conceição, ein Angehöriger der indigenen Pataxó-Gemeinschaft, im Bundesstaat Bahia getötet. Ende 2022 war noch niemand für die Tötungen zur Rechenschaft gezogen worden.
Im Bundesstaat Rondônia dauerten die Angriffe auf indigenes Land an. Die Yanomami-Organisation Hutukara berichtete außerdem, dass illegale Bergbautätigkeiten in der Region die Gesundheit indigener Gemeinschaften beeinträchtigten. Darüber hinaus informierte sie darüber, dass neun Kinder an Krankheiten gestorben waren, die behandelbar gewesen wären, wenn es eine angemessene Gesundheitsversorgung gegeben hätte.

Chile

Demokratische Republik Kongo

Ecuador
Behörden gewährten indigenen Gemeinschaften, die von Ölkatastrophen betroffen waren, keinen Zugang zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.
Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit
Ecuadorianischen Organisationen zufolge führte die Reaktion der Behörden auf Proteste indigener Bevölkerungsgruppen, die im Juni 2022 begannen und sozialen sowie Umweltproblemen galten, zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen. So sei es zu willkürlichen Inhaftierungen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung sowie zu Kriminalisierung von und Angriffen auf Journalist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen gekommen. Mindestens sechs Personen kamen im Zusammenhang mit den Protesten ums Leben.
Rechte indigener Gemeinschaften
Im Januar 2022 urteilte das Verfassungsgericht zugunsten der indigenen Gemeinschaft der A’i Cofán aus dem Dorf Sinangoe und bestätigte, dass die Behörden bei Bergbauprojekten gegen die Rechte der Gemeinschaft auf vorherige Konsultation sowie auf Natur, Wasser, eine gesunde Umwelt, Kultur und ihr Territorium verstoßen hatten. Ecuador hatte ohne Zustimmung der Gemeinschaft 20 Bergbaukonzessionen erteilt, die das Territorium der Gemeinschaft betrafen, und 32 weitere bearbeitet. Darüber hinaus erkannte das Gericht das Recht der A’i Cofán an, eigene Wachposten zum Schutz ihres Territoriums zu organisieren, und ordnete umfassende Maßnahmen zur Wiedergutmachung gegenüber der Gemeinschaft an. Die Behörden waren ihren Verpflichtungen aus dem Urteil bis Jahresende noch nicht nachgekommen.
Am 28. Januar 2022 brach eine Erdölleitung des Privatunternehmens OCP Ecuador. Etwa eine Million Liter Öl gelangte daraufhin in das Becken des Coca-Flusses im Amazonas, mit schweren Folgen für indigene Gemeinschaften und ihre Umwelt. Ende 2022 hatten indigene Gemeinschaften, die von dieser und einer vorherigen Ölkatastrophe im April 2020 im Amazonasgebiet betroffen waren, noch immer keine Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung erfahren.
Am 14. Juni 2022 wurde Leonidas Iza, Präsident des Indigenenbündnisses CONAIE, in der Provinz Cotopaxi von Sicherheitskräften festgenommen. Er wurde ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und wegen “Blockierens öffentlicher Infrastruktur” angeklagt, bevor man ihn am Abend wieder freiließ. Menschenrechtsorganisationen betrachteten seine Inhaftierung als willkürlich und sahen in der Anklage gegen ihn eine mögliche Kriminalisierung von Protest. Laut dem UN-Sonderberichterstatter für die Unabhängigkeit von Richter*innen und Rechtsanwält*innen war möglicherweise auch sein Recht auf Verteidigung beeinträchtigt.
Exzessive Gewaltanwendung
Am 21. Juni 2022 feuerten Sicherheitskräfte bei der Niederschlagung einer Demonstration in Puyo, der Hauptstadt der Provinz Pastaza, aus kurzer Distanz mit Tränengas direkt auf B. G., einen Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Kichwa. Er starb später an seinen Verletzungen.
Ebenfalls im Juni äußerte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes Besorgnis angesichts des Einsatzes von Gewalt gegen Kinder durch Sicherheitskräfte bei Protesten. Er kritisierte neben dem unterschiedslosen und unverhältnismäßigen Einsatz von Tränengas, dass die Sicherheitskräfte befugt waren, potenziell tödliche Munition zu verwenden, z. B. Metallgeschosse.
Bis zum Jahresende hatte die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen, die während der Proteste im Oktober 2019 und im Juni 2022 begangen wurden, die mutmaßlich verantwortlichen Ordnungskräfte weder angeklagt noch strafrechtlich verfolgt.
Im November 2022 entschied das Verfassungsgericht, dass die von Präsident Lasso vorgeschlagenen Verfassungsreformen zum Einsatz des Militärs bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens dem Parlament vorgelegt werden müssen. Die Vorschläge sahen vor, Militärangehörige dauerhaft zur Unterstützung von Polizeieinsätzen abzustellen.

Fidschi

Guatemala

Indien
Rechte indigener Gemeinschaften
Am 28. Juni 2022 verabschiedete das Ministerium für Umwelt, Forstwirtschaft und Klimawandel neue Walderhaltungsvorschriften, die privaten Unternehmen das Abholzen von Wäldern erlauben, ohne dass sie vorher die freie und informierte Zustimmung der Bewohner*innen des betroffenen Gebiets einholen müssen. Dies betraf auch die Adivasi, die sich selbst als indigene Gemeinschaft verstehen.
Am 17. Juli 2022 nahm die Polizei des Bundesstaats Jharkhand den unabhängigen Journalisten Rupesh Kumar Singh willkürlich fest, weil er ausführlich über die Rechte der Adivasi im Bezirk Giridih berichtet hatte.
Im Laufe des Jahres wurden mehr als 60 in Waldgebieten lebende Menschen, Umweltschützer*innen und Adivasi festgenommen, weil sie gegen ein Projekt des Unternehmens Jindal Steel Works im Dorf Dhinkia im Bundesstaat Odisha protestiert hatten. Die Regierung hatte das Projekt zum Bau eines Stahlwerks auf der Grundlage einer gefälschten Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt.

Kambodscha

Kanada

Kolumbien
Menschenrechtsverteidiger*innen waren wegen ihrer Arbeit nach wie vor Angriffen, Drohungen und Schikanen ausgesetzt. Besonders gefährdet waren diejenigen, die sich für Land- und Territorialrechte sowie für Umweltschutz einsetzten. Berichten zufolge wandten Ordnungskräfte übermäßige und unnötige Gewalt an. Indigenensprecher*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen wurden angegriffen und getötet. In Gebieten, in denen weiterhin bewaffnete Gruppen aktiv waren, wurden indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften vertrieben, was in einigen Fällen zu humanitären Notlagen führte.
Im Juni 2022 veröffentlichte die Wahrheitskommission ihren Abschlussbericht. Sie forderte darin, historische Ungleichheiten, Diskriminierung, Rassismus, geschlechtsspezifische Gewalt, Gewalt gegen indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften zu bekämpfen und den vom bewaffneten Konflikt Betroffenen das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung zu garantieren.
Exzessive und unnötige Gewaltanwendung
Bei einer Umweltdemonstration in der Stadt Miranda (Departamento Cauca) wurde im Mai 2022 der indigene Sprecher Luis Tombé erschossen, als Angehörige der polizeilichen Spezialeinheit zur Aufstandsbekämpfung (Escuadrón Móvil Antidisturbios – ESMAD) das Feuer auf Demonstrierende eröffneten, die die Freilassung von Mitstreiter*innen aus dem Polizeigewahrsam gefordert hatten.
Rechte indigener Gemeinschaften
Indigenensprecher*innen und Aktivist*innen wurden weiterhin bedroht und getötet.
Im Januar 2022 meldete die indigene Gemeinschaft der Totoroez, dass Albeiro Camayo, Mitglied der zivilen Selbstverteidigungsgruppe Guardia Indígena, von abtrünnigen Kämpfer*innen der FARC-EP im Departamento Cauca getötet worden war.
Im Februar berichtete die Nationale Indigene Organisation Kolumbiens (Organización Nacional Indígena de Colombia) über die Tötung von Julio César Bravo, einem Menschenrechtsverteidiger und Sprecher der Gemeinschaft der Pastos im Departamento Nariño.
Im selben Monat töteten ELN-Kämpfer*innen im Departamento Chocó Luis Chamapuro, einen Angehörigen der indigenen Gemeinschaft der Wounan.
Ebenfalls im Februar wurde Dilson Arbey Borja, Indigenensprecher, Menschenrechtsverteidiger und Mitglied der Guardia Indígena, in der Stadt Turbo (Departamento Antioquia) getötet.
Im März 2022 wurde der Menschenrechtsverteidiger Miller Correa getötet, der zur indigenen Gemeinschaft der Nasa im Departamento Cauca gehörte. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte verurteilte seine Tötung und die ständigen Drohungen, denen seine Gemeinschaft und deren Sprecher*innen ausgesetzt waren.
Im September 2022 starben im Departamento La Guajira zwei Kleinkinder der indigenen Gemeinschaft der Wayuu an Unterernährung. Damit erhöhte sich die Zahl der Kleinkinder, die dort seit Januar gestorben waren, auf 39. Am 6. September veröffentlichte die Nationale Ombudsstelle eine Warnung, in der sie die Regierung aufforderte, Maßnahmen zu ergreifen, um die humanitäre Situation in der Region zu verbessern.
Im Juni 2022 wurden mindestens 100 indigene Einwohner*innen des Reservats Alto Andagueda (Departamento Chocó) aufgrund von Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und illegalen bewaffneten Gruppen vertrieben.
Indigene Organisationen in Chocó machten darauf aufmerksam, dass Familien, die zur indigenen Gemeinschaft der Emberá gehörten, die Vertreibung drohte, weil im Reservat Jurubida Chori Alto Baudó illegale bewaffnete Gruppen aktiv waren.
Im September 2022 erklärte die indigene Gemeinschaft der Awá, sie befinde sich wegen der Präsenz illegaler bewaffneter Gruppen in indigenen Reservaten in den Departamentos Nariño und Putumayo weiterhin in einer humanitären Notlage und leide unter Gewalt.

Mexiko
Menschenrechtsverteidiger*innen
Der Präsident bezeichnete Abgeordnete des Europaparlaments im März 2022 öffentlich als “Schafe”, nachdem das EU-Parlament in einer Entschließung die Bedrohung, Schikanierung und Ermordung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Mexiko verurteilt hatte.
Ebenfalls im März wurde der Umweltschützer Trinidad Baldenegro in der Stadt Coloradas de la Virgen (Bundesstaat Chihuahua) getötet. Vor ihm waren bereits weitere Angehörige der indigenen Gemeinschaft der Rarámuri wegen ihrer Menschenrechtsarbeit umgebracht worden, u. a. Julián Carrillo, der 2018 von Unbekannten erschossen worden war.
Im Juni 2022 wurden in einer Kirche in der Stadt Cerocahui (Bundesstaat Chihuahua) drei Menschen getötet, darunter die beiden Priester und Menschenrechtler Javier Campos Morales und Joaquín Mora, die sich für die Rechte der indigenen Gemeinschaften in der Sierra Tarahumara eingesetzt hatten.
Rechte indigener Gemeinschaften
Trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 2020 verabschiedete das Parlament auch 2022 kein Gesetz, um das im Übereinkommen über indigene Völker (ILO-Konvention 169) garantierte Recht indigener Bevölkerungsgruppen auf freie, vorherige und informierte Zustimmung zu Projekten, die sie betreffen, zu regeln.

Namibia

Nicaragua

Papua-Neuguinea

Paraguay

Philippinen

Venezuela

19. Mai 2023